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    Newsletter 9/2017 - 26. Juli 2017

 
 
 
 

Newsletter 9/2017 - 26. Juli 2017

 
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  Trauma: Den Teufelskreis durchbrechen


Dr. Udo Baer und Dr. Judith Lebiger-Vogel referierten spannend, praxisnah und wissenschaftlich fundiert zur Trauma-Weitergabe vor 65 Teilnehmern. (Fotos: Eva Hannover-Meurer)

Sie haben oft Furchbares erlebt und gesehen - und werden die schrecklichen Bilder und Erinnerungen nicht mehr los. Die Rede ist von Menschen, die Krieg, Terror und Gewalt erfahren haben und traumatisiert sind. Aber nicht nur sie selbst sind betroffen, das Trauma wirkt ungewollt weiter und beeinflusst auch ihre Kinder oder Enkelkinder. "Transgenerationale Weitergabe von Trauma" - dieser etwas sperrige Fachbegriff für diese Problematik und die Trauma-Folgen stand im Mittelpunkt eines Fachtags Mitte Juni 2017 im Haus am Dom, der von der Diözesan-Arbeitsgemeinschaft Psychologische Beratungsdienste* organisiert wurde. Dass das Thema brandaktuell ist, zeigte das große Interesse: Die 65 Teilnehmer aus den Psychologischen Beratungsdiensten und der Schwangerenberatung sehen sich in ihrer täglichen Praxis nicht nur konfrontiert mit aktuell traumatisierten Geflüchteten. Sondern auch mit ratsuchenden Älteren, die den II. Weltkrieg und das Nazi-Regime erlebt und überlebt haben, und deren Erfahrungen bis heute in die Familien wirken.

Wie die Generation der während und kurz nach dem Weltkrieg Geborenen traumatisiert ist, zeigte Dr. Udo Baer vom Institut für Gerontopsychiatrie in Duisburg. Der Fachmann erläuterte, dass nach dem Krieg kein Platz und keine Zeit dafür war, um das Erlebte zu verarbeiten, geschweige denn darüber zu sprechen. Nicht nur die Gesellschaft, sondern der Einzelne war, wie Baer sagte, regelrecht erstarrt und unfähig zu trauern. Die 1950er- und 1960er-Generation - die "trostlose Generation" - kämpft zum Teil noch heute mit Ängsten und Schuldgefühlen, ohne jedoch tatsächlich zu wissen warum. Die Folgen: Ihre eigenen Probleme spiegelten sich wider in der "kalten Erziehung" ihrer Kinder, in der häufig Gefühle, Empathie, Liebe und das Gefühl von Geborgenheit fehlten. "Der Kummer der Eltern und Großeltern, das Ungesagte und das nicht zu Greifende haben trotzdem noch immer so große Wirkung wie ein schwarzes Loch, das alle Energie absorbiert", so beschreibt Baer die Trauma-Folgen und -Weitergabe an die Folgegenerationen.

Traumatisiert sind auch heute die Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten und in Deutschland eine neue Bleibe suchen. Erste Ansätze, um die Trauma-Weitergabe von Eltern an ihre Kinder zu unterbrechen, zeigte Dr. Judith Lebiger-Vogel vom Frankfurter Sigmund-Freud-Institut auf. Etwa 20 Prozent der Geflüchteten aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder Eritrea sind kleine Kinder unter vier Jahren. Die Eltern verfallen oftmals nach ihrer Flucht in emotionale Starre, so Lebiger-Vogel, sind selbst entwurzelt und destabilisiert und ihren Ängsten hilflos ausgesetzt.  Sie sind nicht mehr in der Lage, die Ängste ihrer Kinder wahrzunehmen, können keine Gefühle mehr zeigen und sind kein "sicherer Hafen" mehr. "Eine traumatisierte Mutter kann folglich nicht mehr adäquat auf ihr Kind reagieren, sie scheint gefühlskalt und ist zu keiner, für das Kind sicheren Bindung fähig", so Lebiger-Vogel. "Es ist ein Irrglaube, dass mit der Ankunft  an einem eigentlich sicheren Ort das Trauma beendet wird", betonte sie. Schon kleine, mitunter harmlose Ereignisse reichen aus, um das Erlebte aus der Erinnerung hochzuholen und nochmals zu durchleben. Mit Folgen auch für die Kinder.

Und genau hier setzt das Projekt "ERSTE SCHRITTE - Ein Projekt für Kinder mit Migrationshintergrund" an, das die Wissenschaftlerin des Sigmund-Freud-Instituts beim Fachtag vorstellte. Das Projekt richtet sich vorwiegend an Mütter mit Kindern bis vier Jahre und nimmt die Ressourcen der Geflüchteten in den Blick. "Ich kann etwas gestalten", diese Erfahrung ist laut Lebiger-Vogel grundlegend, denn sie steht gegen das Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein, was die Traumatisierten im Krieg und während ihrer Flucht erlebt haben. "Es geht darum, die guten Erinnerungen hervorzuholen und in einem fremden Land, in dem alles neu und anders ist, Orte und Gefühle von Heimat, von Vertrautem aufzubauen", so die Referentin. Aber das erfordere viel Geduld und Engagement der Mitarbeiter in den Beratungsstellen. Gerade Mütter mit Traumata müssen immer wieder zu Gruppenangeboten eingeladen werden, sie müssen erfahren, dass sie wertgeschätzt und willkommen sind, dass sie vertrauen können - und dass das Reden über das Schreckliche und ihre Schuld- und Angstgefühle in Einzelsitzungen wie auch in Gruppenrunden eine Chance für einen (emotionalen) Neuanfang ist.

Zusätzlich zu den Einzelberatungen und Einzeltherapie sind begleitende Gruppenangebote enorm wichtig, wie sie zum Teil bereits von den Schwangerenberatungsstellen im Bistum Limburg angeboten werden. Feste, tragfähige Beziehungen und das Knüpfen eines Netzwerks als Gruppe hilft den Traumatisierten, Sicherheit und Stabilität wiederzugewinnen - und diese positiv ihren Kindern zu vermitteln und ihnen Geborgenheit, Zuneigung und Vertrauen zu geben. 

Udo Baer betonte, dass professionelle Traumabegleitung, wie sie die Beratungsdienste anbieten, "Hilfe beim Aufrichten" ist. "Was hilft, ist den Menschen ernst zu nehmen und zu begleiten, ihm zu zeigen, dass er verstanden, gesehen und gehört wird", so Baer.

Die psychologischen Beratungsdienste und Schwangerenberatungsstellen im Bistum Limburg unterstützen und begleiten Menschen mit traumatischen Erfahrungen und bieten dadurch die Chance für Traumatisierte, mit dem Erlebten und mit Angst und Schuldgefühlen umzugehen - und so den Teufelskreis der Trauma-Weitergabe an ihre Kinder zu durchbrechen.

Weitere Informationen: Eva Hannöver-Meurer • Referentin Psychologische Beratungsdienste • eva.hannoever-meurer@dicv-limburg.de


* In der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der Psychologischen Beratungsdienste im Bistum Limburg (DiAG Beratung) arbeiten die Träger der Ehe-, Familien- und Lebensberatung, der Erziehungsberatung sowie der Telefonseelsorge und Krisen- und Lebensberatung im Bistum Limburg zusammen. Die Geschäftsführung liegt beim Diözesancaritasverband Limburg.


 
 
   

Herausgeber:
Caritasverband für die Diözese Limburg e. V. • Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Text und Redaktion: Petra M. Schubert
Telefon: 06431 997-113 • Telefax: 06431 997-114
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